Pressemitteilung:
„Museum für Gießen“ statt „Oberhessisches Museum“?
Zur Diskussion um die Namensänderung des Oberhessischen Museums in Gießen


Die Leiterin des Oberhessischen Museums in Gießen, Frau Dr. Weick-Joch, hadert mit einer Reihe vorgefundener Hürden für die so dringliche umfassende Modernisierung des Oberhessischen Museums in Gießen, wie sie kürzlich der FAZ vom 9.7.2024 klagte. Konsens ist allseits, dass – neben dem florierenden Stadttheater - eine Erneuerung des Museums an Haupt und Gliedern nach der jahrzehntelangen Vernachlässigung der zweiten wichtigen kulturellen Institution in Gießen notwendig ist. Dazu gehört die komplette inhaltliche und museumsdidaktische Neugestaltung der Dauerausstellung, die Entwicklung neuer Formate und die Erschließung neuer Zielgruppen. Hauptsächlich geht es darum, Neugier für ein Museum zu wecken, die weithin über Jahrzehnte verloren gegangen war – das Museum mit seinen in antiquierter Weise dargebotenen Beständen hatte kaum jemanden mehr interessiert. Es war in einen „Dornröschenschlaf“ versunken, wie die Museumsleiterin zu Beginn ihrer Arbeit in Gießen bildkräftig erklärte. Es daraus zu erlösen und hierfür bestehende Hindernisse möglichst aus dem Weg zu räumen, ist darum Gebot der Stunde.

Hürden sichtbarer und physisch erlebbarer Art sieht die Museumsleiterin etwa in der Unterbringung im Alten Schloss am Brandplatz mit seinem wenig einladenden Treppenaufgang oder dem zwar barrierefreien, aber wenig komfortablen Zugang über den gepflasterten Innenhof. Denkmalschutz behindere, so die Leiterin, zudem einzelne bauliche Lösungen. Sie weist verständlicherweise darauf hin, dass derartige Hindernisse kaum zu beseitigen sind. Gießen verdiente, so lässt sich ganz grundsätzlich resümieren, einen modernen Museumsbau – aber dafür fehlt seit langem das Geld. Eine „unsichtbare Hürde“ will Frau Weick-Joch indes auch im „traditionsreichen Namen“ des Oberhessischen Museums sehen. Oberhessen sei „bestenfalls eine historische Größe“, viele sagten nämlich, mit Oberhessen könnten sie nichts anfangen. Das mag sein, und dennoch erstaunt eine solche Wahrnehmung aus dem Mund einer Museumsexpertin: andere historische Museen mit einem traditionsreichen Namen wie etwa das Kurpfälzische Museum in Heidelberg tragen ihn mit Selbstbewusstsein, ja auch Stolz. Alle traditionsreichen Museen stehen wiederkehrend vor der Aufgabe, sich inhaltlich zu erneuern und bestehende Hindernisse zu beseitigen, wie dies jetzt in Gießen der Fall ist. Kein Museum ist, so weit ersichtlich, auf den Gedanken gekommen, eine inhaltliche und konzeptionelle Erneuerung mit der Preisgabe des bestehenden Namens zu verbinden.

Dass Oberhessen seit 1945 keine politisch administrative Bedeutung mehr zukommt, zuvor aber der politische Rahmen der Entwicklung des in Gießen angesiedelten Museums war, gehört zur eigenen Geschichte des Museums und seiner Sammlungen. So ist, um nur ein Beispiel zu geben, die Gießener Zigarrenindustrie ohne die Heimarbeit der Frauenarbeit aus den umliegenden Dörfern der Region nicht zu schreiben und gegenständlich zu zeigen. Eine Fülle an Beständen bildet bis heute den reichhaltigen Fundus für das, was das 1879 gegründete Museum zu zeigen und für seine Dauerausstellung auszuwählen vermag. Wesentlich ist außerdem, dass der heutige Name dem Museum erneut die Chance bietet, die jahrhundertelange Geschichte Oberhessens zu erzählen. Dieser im Namen Oberhessen aufscheinende regionale Rahmen ist es, der erst den Zugang zum genaueren Verständnis der Rolle und Funktion der Stadt Gießen bis in die Gegenwart bietet. Es ist ihr über Jahrhunderte behaupteter und gestalteter landstädtischer Charakter der Hauptstadt der Provinz Oberhessen in Hessen-Darmstadt sowie ab 1918 im Volksstaat Hessen. Sie entwickelte Prägekraft für die Region wie umgekehrt sie durch die sie umgebende Region die Stadt mitgeprägt und strukturiert wurde. Das gilt bis heute und wird auch künftig im sich neu abzeichnenden Rahmen der Metropolregion Rhein/Main, dem sich der Gießener Raum einzufügen begonnen hat, weiterwirken. Wer also mit Oberhessen heute nichts anzufangen vermag, dem sollten Angebote dafür gemacht werden, sich Wissen über die Geschichte dieser Region und Verständnis für ihre komplexe Entwicklung bis in die heutige Zeit und für deren Zukunft zu schaffen. Damit ist der sachliche Kern des entstandenen Dissenses und des Streits um den Namen des Museums bezeichnet. Ihn hatte die FAZ anlässlich der geplanten Änderung der Namensgebung in „Museum für Gießen“ als ein weiteres Beispiel von „Gießener Selbstverzwergung“ (FAZ vom 28.5.2024) polemisch aufs Korn genommen. Sie wäre geeignet, eine angemessene Sicht auf Gießen zu verkürzen. In einer Zeit, in der beklagt wird, dass das Land vom Wachstum der Städte abgekoppelt wird, sollte die Aufgabe eines Museums darin bestehen, die kulturellen Wechselbeziehungen von Stadt und Land historisch aufzuklären und anschaulich an interessanten Beispielen darzustellen.

Odo Marquards Diktum „Zukunft braucht Herkunft“ sollte die Gießener Politik leiten und beherzigen: statt ein angeblich unsichtbares Hindernis beseitigen zu wollen, gilt es die Chance und Herausforderungslage zu erfassen, Gießen als „kleine Metropole im Herzen Oberhessens“ (so der Gießener Journalist Norbert Schmidt), das heißt in seiner regionalen Verankerung und mit deren Wechselwirkungen für seine Geschichte und Perspektiven für die Zukunft zur Anschauung zu bringen. Den Namen Oberhessisches Museum zu belassen, steht der Erneuerung des Museums keineswegs im Wege. Sie mindert auch nicht dessen Attraktivität. Diese hängt nämlich maßgeblich von dem ab, was dort kreiert wird. Zuletzt bewies dies auch wieder die erfolgreiche Ausstellung zu Hugo von Ritgen, die in Kooperation mit beiden Gießener Hochschulen erarbeitet wurde. All das kann sich also, wie allseits anerkannt wird, bislang nicht nur sehen lassen, sondern es hat erfreulicherweise große Neugier auf das Museum geweckt – und kann im kommenden Herbst mit einem gemeinsam vom Museum und dem Oberhessischen Geschichtsverein veranstalteten, vielversprechenden Projekt zum Antiziganismus voraussichtlich weiter angefacht werden. Dass der bestehende Name schließlich nicht daran hindert, neue Formen der Gestaltung der Öffentlichkeitsarbeit, des einheitlichen Auftretens und künftiger Außendarstellung seitens der Leitung zu entwickeln, versteht sich von selbst. Dass statt der dafür vorgesehenen Allerweltsabkürzung „MfG“ sich übrigens „OHM“ zur Profilierung des Museums entschieden besser eignen dürfte, sei am Rande bemerkt.

Das im Jahr 2029 anstehende Jubiläum des Oberhessischen Museums sollte, so das Resümee des Oberhessischen Geschichtsvereins, Ansporn sein, bis dahin die Dauerausstellung und eine neue Konzeption der Außendarstellung erstellt zu haben. Und dann sollte es im neuen Gewand sowie mit neuen Inhalten und Formaten ob seiner Tradition auch selbstbewusst seinen 150. Geburtstag feiern können.

vgl. auch: Thorsten Winter, Oberhessisches Museum Gießen. Namensstreit nach 145 Jahren, FAZ 24.07.2024

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